“Zeremonie der Erinnerung” auf dem Friedhof Hörnli
Anlässlich der Beerdigung von Leo Gisin auf dem Friedhof Hörnli in Riehen hielt unser Ehernmitglied Gerard Benono eine Ansprache.
Diese könnt ihr hier lesen:
Ansprache gehalten anlässlich der „Zeremonie der Erinnerung“ an meinen Freund und Sensei Leo Gisin.
Mittwoch 12. Februar 2020 am Friedhof Hörnli in Riehen/Basel.
Liebe Helen, Liebe Ursula, Lieber Donald,
Liebe Trauerfamilie, Freunde und Bekannte von Leo Gisin
Vor genau 52 Jahren, als ich im Jahre 1968 vom Judo Club Basel zum Budokan Basel wechselte, lernte ich Leo Gisin kennen.
Er war 34 Jahre alt, 1.86 m gross und 105 kg schwer. Dies war mein Judolehrer.
So hat das Ganze begonnen.
Es folgten dann viele Jahre mit sehr vielen gemeinsamen Erlebnissen und eine Freundschaft, die das ganze Leben andauern wird und das ohne einen einzigen Streit. Von dieser Zeit möchte ich Euch berichten und das Eine oder das Andere erzählen um mich so an Leo zu erinnern ……… denn verabschieden möchte ich mich von Leo nicht.
An dieser Stelle erinnere ich mich, dass Leo nur in wenigen, speziellen Momenten, also an offiziellen Anlässen, eine Cravate trug. So zum Beispiel, wenn er als Nationalcoach mit der Schweizer Judo Nationalmannschaft unterwegs war. Im Alltag und mit Freunden war das aber nie der Fall. Zu seinem Gedenken erlaube ich mir deshalb meine Cravate jetzt auch abzunehmen. Bevor ich aber ins Jahr 1968 einsteige, möchte ich ein paar einleitende Worte zur Kindheit und zur frühen Jugend von Leo Gisin sagen.
1934 – 1948 Leo Gisins erste Jahre
Am 23. Februar 1934 ist Leo Gisin als Sohn von Marie und Fritz Gisin geboren. Er war der Älteste von 3 Kindern. Sein Bruder Hansruedi war 6 und seine Schwester Doris war 12 Jahre jünger. Leo Gisin ist in einfachen, aber harmonischen Familienverhältnissen in Pratteln/BL aufgewachsen und der Kontakt zwischen den Geschwistern war auch nach dem Ableben der Eltern stets sehr gut und er wurde ein Leben lang gepflegt. Nach der Schule verbrachte Leo 1 Jahr im Welschland in einem Vorort von Neuchâtel. Da Leo auch sprachlich talentiert war, lernte er sehr schnell und sehr gut französisch zu sprechen. Zurück im Baselbiet, absolvierte Leo mit Erfolg eine Plättlilegerlehre. Während der Lehrzeit, trat Leo 1949 in den Judoclub Basel ein. Einem Journalisten der Basler Zeitung (BAZ v. 14.2.2009) gestand Leo, dass «ihm das Judo gefallen hat», weil er wenigstens 3 mal pro Woche «Dampf ablassen» konnte.
1949 – 1964 Leo als «Wettkämpfer»
Es ist dies die Zeit, wo Leo als Judokämpfer im In –und im Ausland Wettkämpfe bestritt. Er wurde im 1955 das erste Mal Schweizer Meister (es gab da noch keine Gewichtsklassen) und es folgten noch weitere 6 Titel als Landesmeister. Mit der Teilnahme an 3 Europameisterschaften und der Weltmeisterschaft 1961 in Paris, hat sich Leo auch international einen sehr guten Namen gemacht und es entstanden Freundschaften zu grossen Persönlichkeiten, die Pioniere des Judo in Europa waren. Das grosse Ziel, nämlich der Teilnahme an den olympischen Spielen 1964 in Tokyo, hat Leo trotz Olympiaqualifikation, nicht erreicht. Grund dafür war, dass ihm der Neid gewisser Zeitgenossen aus dem SJV und die Tatsache, dass er jeweils für 1 Privatlektion pro Woche CHF 8.— verdiente und deshalb ihm vorübergehend den Amateurstatus aberkannt worden ist. Noch vor der Abreise der Athleten zu den Spielen wurde er rehabilitiert ……….. konnte aber trotzdem nicht nach Tokyo fliegen, denn das Flugzeug war ausgebucht und es gab für ihn keinen Platz mehr ……………, so lautete die offizielle Version. So beendete er 1964 seine Sportlerkarriere.
Wie so oft im Leben kommt ein Unglück selten alleine. Am Ende des Jahres 1964 kündete der Arbeitsgeber den Arbeitsvertrag, sodass Leo vor einem Scherbenhaufen stand.
An dieser Stelle möchte ich Leo Gisin zitieren, der dem Journalisten der Basler Zeitung (BAZ vom 14.2.2009) sagte:
„Als Judoka habe ich kämpfen gelernt. Wenn Du am Boden bist, musst du aufstehen und neu anfangen „
Leo musste somit aufstehen und neue Wege gehen. Dies ist ihm dann auch gelungen.
1965 – 1972 Leo als «Leader», Teil 1
1965 trat Leo Gisin das Amt als Nationalcoach an; natürlich war das in dieser Zeit noch „ehrenamtlich.
„Leo war innovativ, kommunikativ und er war eine Autoritätsperson.“
Leo Gisin erkennt früh, dass die kleine Schweiz nur dann sportlich erfolgreich sein kann, wenn sie eine internationale Zusammenarbeit mit den grösseren Nachbarn eingeht. Da in Deutschland Leo’s Freund und Halbfinalgegner von der WM 1961 in Paris HAN Hosan als Nationalcoach tätig war, begannen sie eine, für beide Länder fruchtbare Zusammenarbeit, die über Jahre dauern sollte.
Nebst Judoka war Leo auch «Analytiker» und «Pragmatiker». So ist es nicht weiter verwunderlich, dass er auch hier der Zeit voraus war und neue Bewertungsmethoden kreierte um die physischen, technischen und taktischen Leistungen seiner Athleten zu erfassen, zu bewerten und zu archivieren. In dieser Zeit gab es übrigens noch keine Computer. Leo war sehr systematisch und sehr ordentlich. Aus diesem Grunde hatte er sämtliche Bewertungsblätter all seiner Kaderathleten abgelegt und aufbewahrt. Sie befinden sich heute noch in Schachteln abgepackt, auf dem Dachboden seines Hauses in Séprais/JU.
Leo pflegte auch bis ans Lebensende einen engen, freundschaftlichen Kontakt zu seiner Olympiamannschaft von 1972. Bei gemeinsamen Treffen ist es auch vorgekommen, dass Leo sein Archiv konsultieren musste um das Eine oder das Andere klarzustellen, welches nicht mehr so präsent war. Wie bereits zuvor erwähnt, hatte Leo Gisin anfang 1965 keine Anstellung mehr als Plättlileger. Er musste ganz einfach eine Lösung finden. Leo Gisin erkannte die Zeichen der Zeit und machte aus seinem Sport seinen Beruf. Im Raume Basel eröffnete er 3 Kampfsportschulen wo Judo, Ju-Jitsu, Karate und Aikido unterreichtet wurde. Er hatte bis zu 750 Schüler. Auf der Suche nach Produzenten von Judobekleidung und von Produzenten anderer Artikel für den Kampfsport, bereiste Leo ganz Asien. Er importierte dann die passende Ware in die Schweiz und Vertrieb diese in seinem Laden und über sein Versandgeschäft. Auch da war er der Zeit voraus.
Leo wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann.
1973 – 1980 Leo als «Leader», Teil 2
Es ist dies die Zeit, wo Leo Gisin als TK-Chef des Schweizerischen Judoverbandes für das Judo und Jiu-Jitsu zuständig war. Er war auch Mitglied der Dankommission.
Seinem Stil treu bleibend, hat er auch hier geradlinig, systematisch und pragmatisch seinen Bereich 8 Jahre lang organisiert und mit straffer Hand geführt, was nicht immer zur Freude aller Beteiligten war.
1978 leitete Leo Gisin einen Ausbildungskurs über „Bodenkampf“ in Bern; dies für die Damen-Judo-Nationalmannschaft. Da ich Leos Uke war, kann ich mich noch sehr gut daran erinnern. Von grösster Bedeutung für Leos künftiges Leben war die Tatsache, dass eine «gewisse Helen Graber», Mitglied der Nationalmannschaft an diesem Kurs teilnahm, denn sie sollte später Leos zweite Frau werden.
Damit war das Wichtigste vollbracht und Leo konnte sich 1980 mit gutem Gewissen von all seinen Aktivitäten im Schweizerischen Judoverband (SJV) zurückziehen.
Leo Gisin war ein Pionier des Schweizer Judo und er stand «31 Jahre aktiv im Dienst» des SJV.
In dieser Zeit pflegte wir auch intensiv unsere Freundschaft und wir unternahmen zahlreiche Reisen im In –und Ausland. So bereisten wir auch Sri Lanka und wir gingen zu Beginn der 1970-er Jahre auf die Malediven tauchen.
Während mehreren Jahren verreisten wir während der Basler Fastnacht jeweils 1 Woche nach Frankreich, wo wir mit dem VW-Bus der Judoschule über Land unterwegs waren.
Auf dem Programm standen:
• Besuch von Brocanten, denn in dieser Zeit gab es deren viele entlang der Landstrassen.
• Kauf von Antiquitäten und Raritäten
• Besuch von Weingüter und Kauf von Wein
• Besuch alter Judofreunde von Leo
• Gutes Essen und Trinken
• Besuch von Judotrainings irgendwo in Frankreich
1973 – 1980 Vorbereitung des «Rückzuges»
In dieser Zeit wohnte Leo Gisin an der Friedensgasse 27 in Basel. Nahe an der Judoschule, nahe vom Laden und nahe von der Innerstadt. Zur Regelung der Nachfolge «Judoschule, Laden und Versand» gründete Leo Gisin, zusammen mit Otto Fend, die Leo Gisin AG. Leo arbeitete Otto Fend wenige Monate als Geschäftsführer der Leo Gisin AG ein und zog sich dann konsequent nach Séprais/JU zurück. Otto Fend war nicht nur der Geschäftspartner, von Leo Gisin; er stand ihm auch bis zum Schluss als treuer Freund zur Seite.
Im gleichen besagten «Jahr 1985», heiratete Leo seine Helen im Garten ihres Hauses im Jura. Es folgte ein längerer Umbau Ihres Hauses. Leo zog dabei alle Register und zeigte, was für ein grosses handwerkliches Geschick er besass. 99% des Umbaues hat er selbst vollbracht.
Ab 1985 Die Zeit «im Jura»
Es folgten schöne, erfüllte Jahre wo Leo Gisin, zusammen mit seiner lieben Frau Helen, neue Horizonte entdecken konnte.
Seine Hobbys waren:
• Sammeln von all dem was ihm Freude machte und ihn interessierte. Dazu gehörten Antiquitäten, Kuriositäten und natürlich auch Pilze.
• Restauration von Antiquitäten
• Schreinern von Möbel, japanische und andere Möbel.
• Assistierte er Helen, welche sich intensiv mit der Aufzucht von Norwich Terriers beschäftigte. Gleichzeitig half sie auch beim Aufbau einer weltumspannenden Datenbank im Rahmen des Norwich-Terrier-Weltverbandes mit.
• Unternahm viele Reisen in die USA und in andere Länder und lernte dabei viele interessante Menschen kennen.
• Leo zog im Sommer Schafe auf (seine Rasenmäher) und im Winter profitierte er von den schönen Gigots.
• Leo pflegte die zahlreichen, alten Freundschaften und empfing immer wieder freunde und Bekannte, die ihn in Séprais besuchten.
Das Ehepaar Gisin verbrachte hier im Jura eine schöne, harmonische Zeit und Helen umsorgte und verwöhnte ihren Leo bis zum letzten Tag.
Ja liebe Helen, das hast Du wirklich gut gemacht.
Und welchen Stellenwert hatte für Leo Gisin das Judo in dieser Zeit nach 1985 ?
Leo hatte in diesem Lebensabschnitt einen gesunden Abstand zum Judo gewonnen aber er verfolgte das Geschehen in der Schweizer Judoszene mit Respekt und mit Interesse …….…. dabei nicht vergessend, dass er jetzt oben in den Bergen im Jura wohnte.
So stand mir mein Freund und Meister Leo Gisin auch während und nach meinen 12 Jahren wo ich den Schweizerischen Judoverband präsidieren durfte, zur Seite. Dieser Umstand hat mir oft geholfen, schwierige Situationen besser zu verstehen und diese zu meistern.
«Sensei Leo» stand stets zu Diensten all deren Personen, die ihn um Rat baten, oder die von seinem Wissen und seiner Weisheit profitieren wollten.
Wie bereits mehrmals geschildert, hatte Leo Gisin das Bedürfnis zu «sammeln, zu ordnen und zu archivieren» und genau das hat Leo während seiner ganzen Zeit im und um das Judo in der Schweiz gemacht. Er war ein Pionier des Schweizer Judo, der noch Vieles über die «Vorkommnisse der ersten Stunde» wusste. Er hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant ……. und bei ihm galt auch ganz speziell das Sprichwort :
«Elephants never forget».
In den letzten Jahren fand Leo Gisin wieder den Weg zurück zum Judosport. Er besuchte regelmässig die Mannschaftswettkämpfe des Judo Club Delémont. Der Kontakt mit den Clubangehörigen hat ihm sichtlich viel Freude bereitet.
Leo Gisin war ein sehr vielseitiger, talentierter Mensch, den ich wie folgt in Worten charakterisieren möchte:
Sensei Leo war:
• gross, kraftvoll, mutig und imposant
• still, emphatisch und hilfsbereit
• handwerklich geschickt, vielseitig und präzis
• geduldig und diszipliniert
• sprachgewandt (französisch und italienisch) und kommunikativ
• sehr belesen, gebildet und weit bereist
• pragmatisch, systematisch und analytisch
• innovativ und qualitätsbewusst
• ehrlich und treu
• manchmal auch stur (ohne Rücksicht auf eigene Verluste)
• ein phantastischer Freund, der eine sehr feine Klinge führte.
• Er war ein «Gentleman»
So behalte ich Sensei Leo in Erinnerung
Danke Gerard für diese Worte!